Prof. Dr. Hartmut von Hentig
erhielt den Preis als Gründer und langjähriger Wissenschaftlicher Leiter der Bielefelder Laborschule und des Oberstufen-Kollegs, der der Schulreform entscheidende Impulse gegeben hat. Er hat durch sein beispielhaftes Engagement die Möglichkeit einer Humanisierung des schulischen Lebens scharfsinnig analysiert und mit Leidenschaft in der Öffentlichkeit vertreten. Und schließlich macht er auch als Kinderbuchautor auf sich aufmerksam, dem nichts eine größere Verpflichtung ist als – seine Liebe zu Kindern.
Hartmut von Hentig, geboren 1925 in Posen, verbrachte einen großen Teil seiner Kindheit im Ausland – unter anderem in San Francisco, Bogotà und Amsterdam. Von 1937 an besuchte er das Französische Gymnasium in Berlin, wo er 1943 das Abitur machte. Nach dem Kriegsende und halbjähriger Gefangenschaft studierte er in Göttingen und in den USA klassische Philologie. 1952 wurde er an der University of Chicago mit einer Arbeit über Thukydides promoviert.
Nach zehnjähriger Tätigkeit als Lehrer am Landeserziehungsheim Birklehof und an einem Tübinger Gymnasium wurde er 1963 auf den Lehrstuhl von Herman Nohl an die Universität Göttingen berufen. 1968 folgte er einem Ruf an die Universität Bielefeld. Dort gründete er zwei zur Universität gehörende Versuchsschulen, das Oberstufen-Kolleg und die Laborschule, deren Wissenschaftlicher Leiter er bis zu seiner Emeritierung im Herbst 1987 war.
Mit der Verleihung des Comenius-Preises soll insbesondere gewürdigt werden, dass Hartmut von Hentig seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten einfallsreich und unbeirrbar dafür eingetreten ist, die Schule so zu verändern,
- dass sie den Bedürfnissen „heutiger Menschenkinder“ gerecht wird und für sie zu mehr als einer Unterrichtsanstalt, nämlich zu einem „Lernort“ werden kann, der zugleich „Lebens- und Erfahrungsraum“ ist,
- dass sie ihren Schülerinnen und Schülern hilft, zu aufgeklärten mündigen Erwachsenen heranzuwachsen, die den Mut besitzen, sich ihres eigenen Verstandes ohne Bevormundung durch einen anderen zu bedienen (er hat diese Aufgabe der Schule in der einprägsamen Formel „Die Menschen stärken, die Sachen klären“ zusammengefaßt,
- dass diese Schule als ein demokratisch geordnetes Gemeinwesen im Kleinen ihre Schüler und Schülerinnen wirkungsvoll auf ihre Mitverantwortung für die Gesellschaft vorbereitet, deren heranwachsende Bürger sie sind.
Dieses „Programm“ hat Hartmut von Hentig in vielen Büchern und Aufsätzen an immer neuen Einzelfragen – von der Philosophie und den alten Sprachen über die Ästhetik bis zu Fragen der internationalen Verständigung oder der religiösen Erziehung, aber auch bis zu ganz praktischen unterrichtsmethodischen Problemen – entfaltet und konkretisiert.
Er hat dafür in zahllosen Beratungsgremien auch bildungspolitische Entscheidungen in diesem Sinne zu beeinflussen versucht. Er hat es aber nicht bei theoretischen Forderungen bewenden lassen, sondern durch die Gründung von zwei Schulen, die mittlerweile einen internationalen Ruf haben, unter Beweis gestellt, wie dieses „Programm“ verwirklicht werden kann*.
* Der Preis wurde ihm wegen seiner Verstrickungen in den Missbrauchsskandal in der Odenwaldschule, aufgrund eines einstimmigen Beschlusses des Kuratoriums sowie des Vorsitzenden, am 18.10.2011 aberkannt.